Im Land der Esel

Tadschikistan - schon mal davon gehört? Viele Reisende, ich einbegriffen, geben offen zu, dass sie nur zufällig von diesem Land in Zentralasien erfahren haben. Besonders beliebt ist es bei all denen, die es gerne etwas abenteuerlicher mögen: Strassen an der Grenze zu Afghanistan und Pässe höher als das Matterhorn gehören ebenso zum Programm wie menschenleere Hochebenen und Berge über siebentausend Meter. Kein Land hat mich mehr herausgefordert. Ein Erlebnis der besonderen Art:

Nach der Grenze, die Carsten und ich problemlos passierten, nicht einmal das Gepäck wurde kontrolliert, ging es entlang von Feldern und einer grossen Aluminium-Fabrik nach Duschanbe, der Hauptstadt von Tadschikistan. Alle paar Kilometer trafen wir auf Plakate, die den Präsidenten zeigte: Einmal in einer Blumenwiese, dann mit Kinder auf einem Feld, vor Neubauten, mit religiösen Führern, einem Chor oder auch Bauarbeitern. Die Frage nach der Regierungsforum, die wir uns an der Grenze noch stellten, hatte sich damit geklärt. Die ersten Kinder, auf die wir trafen, fragten nach einem Dollar. Der erste Autofahrer, der neben uns hielt, versorgte uns mit einem Redbull und der Versicherung, dass wir damit in 5 Minuten in Duschanbe ankommen würden. Einen Arschlochfinger bekamen wir an diesem Tag auch bereits zu sehen. Ganz so willkommen wie in anderen Ländern fühlte ich mich nicht, was ich mir so zu erklären versuchte, dass reiche Ausländer, die das Abenteuer suchen, im ärmsten Land Zentralasiens, wo das Leben Abenteuer genug ist, nicht nur auf Verständnis stossen.

In Duschanbe ruhte ich mich erst einmal für ein paar Tage in einem Hostel aus. Junge Menschen sassen im Innenhof und gaben bei einem Bier ihre Geschichten aus dem Pamirgebirge zum besten. Die Vor- und Nachteile verschiedener Routen wurde diskutiert. Die Takeaway-Pizza wurde beschuldigt, der Grund für die grassierenden Magenprobleme zu sein. Im Innenhof standen Motor- und Fahrräder sowie umgebaute Vans, viele davon bereits Monate unterwegs. Zwei Motorradfahrer, die ich bereits in Tabriz (westlichste Stadt im Iran) getroffen hatte, befanden sich auch unter den Gästen. Die Stimmung war gut und in mir baute sich eine Vorfreude für das Kommende auf.

Eigentlich wäre ich gerne in einer kleinen Gruppe in Richtung Pamir gestartet. Weil ich jedoch einen weiteren Ruhetag brauchte, machte ich mich schlussendlich alleine auf den Weg. Ich entschied mich für die kürzere Nordroute, welche für Autofahrer aufgrund einer eingestürzten Brücke gesperrt war. Schon bald wurde die Strasse schlechter und mein Hintern tat mir bereits nach wenigen Stunden weh, was aber auch daran liegen könnte, dass mein Sattel langsam aber sicher sein Lebensende erreichte. Dem versuchte ich mit einer zweiten Radlerhose abzuhelfen, was aber nur bedingt half. Nun, immerhin weiss ich jetzt, wie man sich in einer Windel fühlt. Die Fahrt ging erst durch ein Tal, wo Bauarbeiter gerade damit beschäftigt waren, die Flussebene mehr als zu verdoppeln, wohl um die Speicherkapazität des zukünftigen Staudammes zu erhöhen. Als ich dann eine Brücke überquerte, die meisten Stahlkabel davon gerissen, überkam mich ein kribbelndes Gefühl: das Abenteuer geht los! Passend dazu "explodierte" in der Nacht meine zweite Luftmatratze - ihr wisst schon, Qualitätsprodukt von Exped - während draussen ein Gewitter tobte.

Beim ersten Bach, der über die Strasse floss, stoppte ich noch, bevor ich sorgfältig durch das Wasser fuhr. Einige Bachdurchquerungen später sah das schon ganz anders aus, was zur Folge hatte, dass ich selbst bei braunem Wasser, wo man die Tiefe nur schwer abschätzen kann, hindurchsauste - und mir dabei die Schuhe mit Wasser füllte. Aber das gehört einfach zu Tadschikistan, genauso wie das kleine Erdbeben oder die eingestürzte Brücke am Tag darauf. Was mich mehr störte waren die Magenprobleme, die mich seit Duschanbe plagten. Um diese auszukurieren, wollte ich im nächsten grösseren Dorf, Kalai-Khumb, eine Pause einlegen. Zwischen mir und dieser Pause lag jedoch noch eine Herausforderung von 3200 Metern Höhe. Weil die Hauptstrasse wegen einem Erdrutsch gesperrt war, ging es über einen ziemlich steilen Weg durch kleine Dörfer. Oft drehten die Räder durch. Anfahren funktionierte nur noch, indem ich bereits auf dem Fahrrad sass, wenn ich in die Pedalen drückte. Kurz vor der Passhöhe begann ich dann erstmals die Höhe zu spüren. Das Blut pumpte ungewohnt laut durch den Kopf. Immer wieder musste ich einen kurze Pause einlegen, wobei ich laut von 20 auf 0 runterzählte. Das einzige Auto, dass ich auf dieser Höhe traf, hatte einen Platten. Der Fahrer, der gerade mit einer Handpumpe den Ersatzreifen aufzublasen versuchte, wollte mich an seiner Erfahrung teilhaben lassen, was ich aber ablehnte. Dann begann es zu regnen, was mir auf dem Pass zu einem echten Problem wurde: Weil der Boden dort flach war, floss das Wasser nicht mehr ab und es bildete sich Matsch, der schon nach wenigen Metern den kleinen Spalt zwischen den Reifen und den Schutzblechen ordentlich zustopfte. Es war Viertel nach sechs, um die sieben Grad, ich stand mit meinen Sandalen im Matsch - du weisst ja, die anderen Schuhe waren noch nass. Ich war gute 35 Kilometer vom Dorf mit warmen Zimmern entfernt und versuchte verzweifelt das Fahrrad den Pass runterzuschieben. Kurz versuchte ich die Schutzbleche abzuschrauben, musste dann aber feststellen, dass darin die Leitung für das Licht verlegt war. Alternative? Fahrrad so lange wütend auf den Boden knallen, bis sich ein bisschen Matsch gelöst hat, einige Meter schieben und das Ganze wiederholen, bis die Strasse wieder besser ist. So, was fehlt nun noch für eine erfolgreiche Abfahrt? Die aggressivsten Hunde seit der Türkei! Frag mich bitte nicht, was die Hirten auf 3000 Metern Höhe machen, aber die gibt es dort tatsächlich. Nachdem sich mein Stock als nutzlos erwiesen hatte, griff ich zu Steinen, mit welchen die Hunde bereits vertraut waren und die Flucht ergriffen. Dann raste ich - 30 km/h auf dieser Strasse fühlte sich wie Rasen an - den Berg hinunter. Spätestens als ich dann einen Platten hatte, gab ich die Hoffnung auf, diese Nacht in einem warmen Zimmer schlafen zu können und stellte mein Zelt auf.

Die Abfahrt nach Kalai-Khumb war bildlich einfach nur fantastisch, was leider auf den Fotos nicht ganz zur Geltung kommt. Neben der Strasse ging es fast senkrecht die Schlucht hinunter. Einen solch tobenden Bergbach hab ich noch nie gesehen. Doch zuvor musste ich erst noch die Kassette (hintere Zahnräder) vom hart gewordenen Schlamm des Vorabends befreien. Im Gästehaus angekommen erklärte der Besitzer das restliche Fahrradputzen zur Chefsache, wogegen ich natürlich nichts einzuwenden hatte. Die nächsten eineinhalb Tage verbrachte ich zum einen Teil mit einigen anderen Radlern, darunter einem älteren deutschen Paar, das in fünf Jahren mit dem Tandem nach Australien fährt, und zum anderen Teil im Bett und auf dem Klo. Die Tage zuvor hatte ich wegen meinen Magenproblemen zu wenig gegessen und so musste ich auch einfach mal wieder Energie tanken.

Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche passierte es mir, dass alle Radler vor mir abfuhren. Dieses Mal jedoch nur um wenige Stunden und so hatte ich die Gruppe noch vor dem Abend eingeholt, Bierpause sei dank (Deutsche halt). Bis in die Stadt Khorogh ging es dem Fluss Pandsch entlang. Das Besondere dabei: Auf der anderen Seite befindet sich ein Land, das man normalerweise nur aus den Nachrichten kennt. Afghanistan. Dem Treiben dort zuzusehen, war dann auch deutlich faszinierender, als den Blick geradeaus zu richten. Manchmal sah man Bauern dabei, Getreide mit Sicheln zu schneiden und als Bündel zusammenzubinden. Einmal hörte ich eine Explosion. Ohne zu wissen, was das gerade war, radelte ich mit einem komischen Gefühl weiter. Ich hatte die Explosion schon fast wieder vergessen, als sich in Sichtweite zuerst eine und dann eine ganze Reihe weiterer Explosionen ereigneten. Nun war auch klar, dass nicht etwa die Taliban dafür verantwortlich war, sondern Bauarbeiter, die im Felsen auf der anderen Seite eine Strasse zu bauen versuchten. Das änderte jedoch nichts daran, dass Felssplitter beinahe auf meine Seite geschleudert wurde - und das natürlich ohne Vorwarnung.

Durch das Pamirgebirge führen nur wenige Strassen. Ab und zu gibt es kurze Alternativstrecken, die sich nach wenigen hundert Kilometern wieder treffen. Die bekannteste dieser Strassen heisst Pamir Highway, oder kurz M41. Dabei handelt es sich um die zweithöchste Fernstrasse der Welt, die in den letzten Jahren immer mehr Fahr- und Motorradfahrer anzieht. Caravanistan behauptet gar, dass die Strasse von mehr Fahrradfahrern als Autos befahren wird, aber das halte ich, abgesehen vielleicht von einigen Teilstrecken, für ein Gerücht. Weil aber im Vergleich zu anderen Ländern tatsächlich viele Ausländer auf dieser Strasse unterwegs sind, reagieren die Leute ganz anders auf dich. Sobald du in einem Dorf ankommst, rennen die Kinder aus allen Ecken auf dich zu und schreien "Hello! Hello! What's your name?". Dabei halten sie dir eine Hand entgegen und erwarten einen Handschlag. Das mag sich ganz nett anhören, aber wenn sich das täglich weiss-nicht-wie-viele-Male wiederholt und es ab und zu auch schwarze Schafe unter den Kindern gibt, die deine Hand fest packen, dir ein "Fuck you" nachrufen oder einen Stein nachwerfen, was zum Glück einen Ausnahme blieb, ist man nicht unglücklich, wenn man nicht ständig durch Dörfer kommt. Tadschikistan wurde damit für mich das erste Land, wo ich den Kontakt mit der Lokalbevölkerung eher mied als suchte. Das lag aber auch daran, dass ich in diesem Land etwas andere Schwerpunkte setzte: die Natur, das Abenteuer, das Austesten meiner Grenzen.

Wie schon auf meiner ganzen Reise gab es auch in Tadschikistan Begebenheiten, wo mir ein "Echt jetzt?" durch den Kopf schoss. Wenn man beispielsweise unverpackte Kekse einkauft, wird der Klarsichtbeutel meist mit dem Mund aufgeblasen. Getankt wird bei Tankstellen nicht selten mit Kanister und Trichter. Als ich mal wieder bei einem Laden meinen Abfall entsorgen wollte, wofür viele Geschäfte in Asien vor der Tür einen Abfalleimer oder eine Kartonschachtel stehen haben, wies mich der Verkäufer zu einem Hang. Ich sah dort zwar keinen Mülleimer, ging aber trotzdem in diese Richtung und musste dann feststellen, dass ich den Müll in den Dorfbach werfen sollte. Ich stand kurz etwas verdutzt an Ort und Stelle. Ein Kind wollte mir behilflich sein und versuchte mir die Tüte mit dem Abfall aus der Hand zu nehmen. So entschied ich mich, die Tüte wieder einzupacken und fuhr weiter.

Soviel zum ersten Teil meiner Reise in Tadschikistan, sozusagen der Aufwärmphase. Im zweiten Teil werde ich über meine Erlebnisse im Wakhan-Tal und auf der Hochebene Tadschikistans erzählen.

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